Barbara Traub: Jüdisches Leben in Baden-Württemberg - Von Schatten und Licht | Kern-Gespräch #22

Prof. Barbara Traub (IRGW) im Kern-Gespräch
Prof. Barbara Traub (IRGW) im Kern-Gespräch

Landtagsabgeordneter Dr. Timm Kern (FDP) sprach in der neuesten Ausgabe der Kern-Gespräche mit Prof. Barbara Traub über jüdisches Leben in Baden-Württemberg.

Jüdisches Leben in Baden-Württemberg und Deutschland ist aktuell wieder in aller Munde. Wie leider häufig, wenn es um jüdisches Leben geht, vor allem aus der Perspektive der Bedrohungen, denen es ausgesetzt ist. Wie wir alle als Gesellschaft mit solchen Bedrohungen umgehen sollten, war zentrales Thema eines Gespräches des Landtagsabgeordneten Dr. Timm Kern (FDP) mit der Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW), Prof. Barbara Traub. Der Abgeordnete hatte sie im Rahmen seines Formates „Kern-Gespräch“ in der Bibliothek der IRGW in Stuttgart getroffen.

Natürlich spielten dabei die Ereignisse des 07. Oktober 2023, dem Tag, an dem Terroristen der palästinensischen Hamas-Miliz zahlreiche israelische Kinder, Frauen und Männer entführt oder ermordet haben, eine große Rolle. „Antisemitismus ist wohl leider etwas, was unausrottbar ist“, beobachtete Dr. Timm Kern mit Blick auf verbreiteten Antisemitismus bei Rechtsradikalen, Linksradikalen und radikalen Muslimen und wollte von Prof. Barbara Traub wissen, ob sie von den antisemitischen Ausfällen auf pro-palästinensischen Demonstrationen überrascht gewesen sei. Die Vorstandssprecherin der IRGW erklärte, dass es solche Demonstrationen schon immer gegeben habe, aber das massenhafte Auftreten und die Aggressivität seien für viele Juden beängstigend gewesen. „Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass es Gruppen in der Gesellschaft gibt, die sich in der Folge entweder zurückgezogen haben oder auch sonst in keiner Weise solidarisch mit den Menschen in Israel geäußert haben – so auch manche muslimische Verbände“, so Prof. Traub. Gleichzeitig warnte sie aber auch vor einem Generalverdacht gegenüber Muslimen.

Positiv aufgenommen worden sei die Solidarität aus dem Bereich der Politik nach den Anschlägen: So hat der Landtag im November mit breiter überparteilicher Mehrheit eine Stärkung des Antisemitismus-Beauftragten beschlossen – nur die AfD hatte sich dagegen gestellt. Prof. Barbara Traub bezeichnete die AfD als Bedrohung nicht nur für die jüdische Gemeinschaft, sondern für die Gesellschaft an sich, da sie Demokratie und demokratische Werte an sich infrage stelle. Auch die Sicherheitsmaßnahmen seien sofort erhöht worden. Dennoch gab es erhebliche Verunsicherung in der Gemeinde. Nach einem Aufruf, wonach jüdische Institutionen und Menschen am Freitag, den 13. Oktober angegriffen werden sollten, wurde den Eltern in der IRGW freigestellt, ihre Kinder zuhause zu behalten: „Ungefähr die Hälfte der Eltern haben ihre Kinder tatsächlich zuhause gelassen – aber schon am Montag waren alle Kinder wieder gekommen“, berichtete Prof. Barbara Traub von der belastenden Zeit direkt nach den Anschlägen. So erkläre sich auch die unterschiedliche Wahrnehmung der Sicherheitskräfte, die das Gebäude rund um die Uhr bewachen müssen, führte sie aus: „Ich fühle mich sicher, wenn ich Polizei sehe. Auch unsere Eltern fühlen sich sicher, wenn Polizei in der Nähe ist.“

Doch wichtig sei auch, sich nicht mit Antisemitismus abzufinden, sondern Strategien dagegen zu entwickeln und anzuwenden, waren sich beide Gesprächspartner einig. Dr. Timm Kern betonte dabei die Wichtigkeit der Bildung: „Politische Bildung muss gestärkt werden. Auch Medienkompetenzen – was sind verlässliche Quellen? Da müssen wir Schüler einfach fit machen“. Zudem plädierte der FDP-Politiker für die Einführung eines staatlich organisierten muslimischen Religionsunterrichts an Schulen „um jungen Menschen auch zu zeigen, wie ihre eigene Religion ist, dass das nichts grundsätzlich mit Gewalt, Ausgrenzung, Feindlichkeit gegenüber anderen Religionen zu tun hat.“

Doch das Judentum ist natürlich mehr als nur die Bedrohungen, denen es ausgesetzt ist. Prof. Barbara Traub warb dafür, den Blick auf das Judentum zu weiten: „Es ist auch wichtig zu sehen: Wie leben Jüdinnen und Juden heute hier? Das Judentum ist ja nicht etwas nur Starres, sondern passt sich der jeweiligen Gesellschaft an“. So sei zum Beispiel das Wissen über die Shoa zu vermitteln zwar natürlich wichtig, doch darauf dürfe jüdisches Leben nicht reduziert werden.

Wie lebensfroh die jüdische Religion nämlich auch ist, war schon den festlich geschmückten Räumlichkeiten rund um die Stuttgarter Synagoge anzusehen: Anlässlich des anstehenden Purim-Festes waren dort bunte Girlanden angebracht. Im Purim-Fest feiern Juden die Befreiung aus drohender Gefahr in der persischen Diaspora. Entsprechend freudig wird das Fest gefeiert. Prof. Barbara Traub erklärte, dass das Fest gerade durch die Shoa eine neue Bedeutung bekommen habe: „Wenn man zusammensteht, wenn man zusammenhält, wenn man den Willen hat, für seine Religion einzutreten, dass man dann auch kämpfen kann und überleben kann“, das sei eine ganz wichtige Botschaft aus dem Purim-Fest.

Der abschließende Appell von Prof. Barbara Traub: Man müsse das, was man als Gesellschaft erreicht habe, mehr wertschätzen und beschützen. „Das war ja ein Weg des Vertrauens, den wir beschritten haben, der nicht selbstverständlich ist. Wir dürfen uns diesen Weg weder verbauen, noch zerstören lassen“.