Claus Dierksmeier: Freiheit – je mehr, desto besser oder je besser, desto mehr? (Kern-Gespräch Folge 18)

Kern-Gespräch mit Dr. Claus Dierksmeier

„Man kann Freiheit entweder zuerst quantitativ denken und sagen: Je mehr, desto besser. Oder aber umgekehrt nach der Maßgabe: Je besser, desto mehr“. So erklärte Prof. Dr. Claus Dierksmeier, Philosoph an der Universität Tübingen, den Grundgedanken seiner Theorie der „qualitativen Freiheit“. Der Landtagsabgeordnete Dr. Timm Kern (FDP) hatte ihn im Rahmen seines Formats „Kern-Gespräch“ zum Interview eingeladen, um darüber zu diskutieren, wie die Idee der Freiheit in der heutigen, globalen Welt gedacht und fortentwickelt werden kann.

Grundlage dessen war Professor Dierksmeiers Werk „Qualitative Freiheit. Selbstbestimmung in weltbürgerlicher Verantwortung“, mit dem der Philosoph eine neue Auslegung des Freiheitsbegriffes anstoßen wollte. Er erklärte dabei die Notwendigkeit dieser neuen Auslegung mit der Universalität der Freiheit: „Wenn mir Freiheit zusteht, weil ich Person bin, dann steht sie allen zu“, beschrieb er das Grundprinzip der Freiheit aus seiner Sicht. Darum könne Freiheit nicht nur bedeuten, dass man selbst möglichst viele Handlungsoptionen habe, sondern sie müsse auch immer an ihrer universellen Geltung ausgerichtet sein – also auch für andere Menschen Verantwortung übernehmen.

Dr. Timm Kern pflichtete ihm hierzu bei: „Es geht ja nicht nur darum, Freiheit auszudehnen, sondern um eine bestimmte Qualität von Freiheit“, bestätigte der FDP-Abgeordnete. „Schon das Kind, das einem anderen Kind hilft, hilft diesem anderen Kind, bessere Freiheit zu haben“, erklärte er sein Verständnis der Theorie der qualitativen Freiheit. Claus Dierksmeier als Urheber dieser Theorie pflichtete ihm bei und bestätigte, dass es genau darum gehe, in sein Verständnis von Freiheit andere einzubeziehen.

Aus Sicht von Professor Claus Dierksmeier zeigte die Corona-Pandemie die Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Freiheit gut auf: Die Gegner der Maßnahmen gegen die Pandemie beriefen sich eher auf eine quantitative Freiheit, also darauf, dass sie nicht in ihren Handlungsoptionen eingeschränkt werden dürften. Die Befürworter der Maßnahmen beriefen sich aber ebenfalls auf Freiheit: Nämlich dass eine Freiheitsausübung, die darauf abzielt, dass erkrankte Menschen nicht sterben oder Folgeschäden davontragen, von anderer und besserer Qualität sei als eine ganz und gar egoistische.

„Können wir uns weltweit auf ein gemeinsames Freiheitsverständnis einigen?“, fragte der FDP-Abgeordnete Dr. Kern und zog auch eine Brücke zum Thema Freiheit und Religion. Professor Claus Dierksmeier führte aus, dass das Konzept der Freiheit durchaus weltweit anschlussfähig sei, was auch in Denkern und Aktivisten wie Nelson Mandela in Afrika oder Enrique Dussel in Lateinamerika sichtbar sei. Auch Freiheit und Religion seien per se keine Gegensätze, sondern nur in fundamentalistischen Ausprägungen von Religion.

Zum Abschluss des halbstündigen Gespräches waren sich beide Diskussionspartner einig: Aufgabe des Liberalismus sei es, dass die Freiheit für möglichst viele Menschen möglichst lange gesichert bleibe.

Mehr über Prof. Dr. Claus Dierksmeier
Philosoph und Professor für Globalisierungsethik
Institut für Politikwissenschaften
Universität Tübingen
Twitter: https://twitter.com/ProfCD  ( @ProfCD )
Publikation: Qualitative Freiheit – Selbstbestimmung in weltbürgerlicher Verantwortung