Das Scheitern der Bildungsallianz – woran lag es?

Timm Kern zu den gescheiterten Gesprächen zur Bildungsallianz
Was war die Idee?

Die vier demokratischen Fraktionen im Landtag von Baden-Württemberg – Grüne, CDU, SPD und FDP/DVP – wollten in den gemeinsamen Gesprächen ausloten, welche Rahmenbedingungen in der Bildungspolitik über Legislaturperioden hinaus festgeschrieben werden können. Denn bislang ist das Problem: Wechselt nach Landtagswahlen die Regierung oder die Parteifarbe des Kultusministeriums, wechselt häufig auch die Ausrichtung der Bildungspolitik in einem Ausmaß, das den Schulen und Bildungsinstitutionen kaum Planungssicherheit gibt. Durch das Festlegen bestimmter Leitlinien, die auch nach einem Regierungswechsel nicht angetastet werden sollen, sollte diese Unsicherheit beseitigt werden. So kam es zu zwei Gesprächsrunden, die letzte am 02.05.2024 in Tübingen-Bebenhausen, die aber leider zu keiner Einigung führten.

Woran sind die Gespräche gescheitert?

Kaum waren die Gespräche vorbei, gingen die Interpretationen los, woran das Scheitern festzumachen sei: Während Winfried Kretschmann eine mangelnde Einigkeit zwischen SPD und FDP als Grund ausmachte, waren sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch und der Vorsitzende der FDP/DVP-Fraktion, Dr. Hans-Ulrich Rülke, in ihrer Analyse sehr wohl einig: Sie machten das Scheitern unisono an der mangelnden Gesprächsbereitschaft des Ministerpräsidenten fest.

Als jemand, der bei den Gesprächen dabei war, habe ich das Privileg, nicht aus zweiter Hand oder über die Presse spekulieren zu müssen, sondern kann Ihnen den Ablauf klar schildern: Nach Beginn der Gespräche gab es zunächst lange inhaltliche Einleitungen durch den Ministerpräsidenten und die Kultusministerin. Danach verkündete der Ministerpräsident, man habe noch eine Stunde Zeit, da er dann vor die Presse treten wolle. SPD und FDP hielten das beide für völlig unangemessen: Einen langanhaltenden, überparteilichen Schulfrieden in gerade mal einer Stunde verhandeln? Da nimmt der Ministerpräsident sich ja mehr Zeit fürs Froschkuttelnessen an der Fasnet! Entsprechend protestierten wir als demokratische Opposition gegen diese Vorgehensweise, was den Ministerpräsidenten hinterher dazu veranlasste, zu behaupten, SPD und FDP sei es nur um „Verfahrensfragen“ gegangen.

Da der grüne Ministerpräsident und grüne Kultusministerin aber nicht bereit waren, von diesem absurden Zeitplan abzuweichen, beendeten unter diesen Voraussetzungen SPD und FDP die Gespräche. Es ist offensichtlich: Die Erwartungshaltung Kretschmanns war, dass die Opposition einfach eins zu eins das vorgelegte Papier der Landesregierung unterzeichnen sollte, ohne jegliche eigene Akzente setzen zu können. Eine echte Bildungsallianz mit echten Kompromissen und gemeinsamen bildungspolitischen Beschlüssen war offensichtlich nicht in seinem Sinne und wurde von Anfang an durch inhaltliche Festlegungen torpediert.

Eine Begründung für das Scheitern der Gespräche war für Winfried Kretschmann auch, dass die Opposition keine eigenen Vorschläge vorgelegt hätte. Hier verweise ich den Ministerpräsidenten gerne auf die zahlreichen Positionspapiere allein im Bildungsbereich, welche die FDP/DVP-Fraktion in den letzten 12 Monaten vorgelegt hat: Zu „12 Jahre grüne Bildungspolitik“, zur verbindlichen Grundschulempfehlung, zu verbindlichen Sprachtests im Vorschulalter, zur zeitnahen Umsetzung von G9 oder zum Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung.

Mehr zum Thema Schule der FDP/DVP-Fraktion finden Sie auch hier.

Wie geht es nun weiter?

Die Gespräche mit der Landesregierung sind also vorerst gescheitert. Aus meiner Sicht und aus Sicht meiner Fraktion muss das aber keineswegs heißen, dass die Bildungsallianz an sich gescheitert ist: Schon kurz nach dem Ende der Gespräche hat unser Fraktionsvorsitzender Dr. Hans-Ulrich Rülke stattdessen klargemacht, dass die FDP weiterhin zu Gesprächen zwischen den Fraktionen einladen wird. Diese Einladung geht natürlich nicht an den Ministerpräsidenten und die Kultusministerin, da diese ja offensichtlich kein Interesse an solchen Gesprächen haben. Da aber die ursprüngliche Einladung von Dr. Hans-Ulrich Rülke zu Gesprächen zwischen den Fraktionen sowohl von Andreas Stoch von der SPD als auch von Manuel Hagel von der CDU angenommen wurde, sind wir optimistisch, darauf wieder aufbauen zu können. Auch die Fraktion der Grünen um Fraktionsvorsitzenden Andreas Schwarz ist dazu natürlich wieder herzlich eingeladen – damals scheiterte die Zusammenkunft nur an Terminschwierigkeiten von Andreas Schwarz, die sicherlich bei einer Neuauflage vermieden werden können. Insofern gehe ich davon aus, dass alle demokratischen Fraktionen auch weiterhin daran interessiert sind, zu gemeinsamen Lösungen in der Bildungspolitik zu kommen. Wenn die Landesregierung keinen Schulfrieden will, müssen eben wir als die vom Volk gewählten Abgeordneten selbstbewusst genug sein, eigenständig aktiv zu werden.

Eine unserer zentralen inhaltlichen Forderungen ist nun: Die Gymnasialreform muss mit den Initiatorinnen und Initiatoren von „G9 jetzt! BW“ abgestimmt werden. Sollte das nicht gelingen oder von der Landesregierung gar nicht erst versucht werden, wird die FDP-Fraktion sich am geplanten Volksbegehren der Initiative aktiv beteiligen.

Hier finden Sie auch die ganze Debatte im Landtag von Baden-Württemberg zum abgelehnten Volksantrag „G9 jetzt! BW“ (Sitzungspunkt Top 3).

 

Bewertung der Vorschläge der Landesregierung

Einen Erfolg kann sich die demokratische Opposition aus SPD und FDP jedenfalls schon ans Revers heften: Die grün-schwarze Koalition hat sich in der Bildungspolitik endlich einmal bewegt! Nachdem es im aktuellen Koalitionsvertrag ja noch hieß, man wolle keine „Strukturdebatten“ führen – eine schöne Umschreibung dessen, dass Grüne und CDU in quasi allen bildungspolitischen Fragen weit auseinanderliegen – liegen jetzt zumindest einmal Vorschläge auf dem Tisch. Einige davon gehen zumindest vorsichtig in die richtige Richtung, andere halte ich für völlig falsch:

  1. Rückkehr zu G9 zum Schuljahr 2025/26 - Durch den beeindruckenden Einsatz der Volksinitiative „G9 jetzt! BW“, die fast 107.000 Unterschriften für eine Rückkehr zu G9 in der Regelform gesammelt haben, konnten auch die Grünen nicht mehr anders, als ihre jahrelange Blockadehaltung in dieser Frage aufzugeben. G9 soll nun also kommen – das halte ich für den richtigen Schritt! Kritisch sehe ich allerdings, dass G9 nur „aufwachsend“ ab Klasse 5 kommen soll. Das bedeutet, die bereits ins Gymnasium eingeschulten Kinder und Jugendlichen – ausgerechnet jene, die am Stärksten unter Corona gelitten haben – beißen wieder in den sauren Apfel! Ich hätte mir gewünscht, dass es - wie von der Volksinitative vorgeschlagen - eine Übergangsregelung für die Klassen 6-10 gegeben hätte, die Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 festschreibt. Also: Mangelhafte Umsetzung der Landesregierung. Setzen, 5.
     
  2. Verbindliche Grundschulempfehlung - Grundsätzlich ist es ein Fortschritt, dass nach der Logik „zwei aus drei“ nun zumindest für die Gymnasien gilt: Es müssen aus den Faktoren Grundschulempfehlung, Leistungstest und Elternwille mindestens zwei von drei übereinstimmen, damit ein Kind von Klasse 4 auf das Gymnasium wechseln kann. So werden massive Überforderungen und Frustrationserlebnisse von Kindern auf dem Gymnasium verhindert. Die Frage bleibt aber: Wieso gilt das nur für das Gymnasium? Gerade auch für die Realschulen wäre es enorm wichtig gewesen, die starke Heterogenität in den Griff zu bekommen, indem auch hier eine verbindlichere Grundschulempfehlung gilt. Niemand versteht, warum das nun nicht der Fall ist. So ist die verbindlichere Grundschulempfehlung der Landesregierung leider nur eine Mogelpackung, die den größten bildungspolitischen Fehler in der Geschichte Baden-Württembergs aus dem Jahr 2012 nur sehr unzureichend rückgängig macht. Setzen, 5.

    Die gemeinsame Pressemitteilung von Philologenverband und Realschullehrerverband zur verbindlichen Grundschulempfehlung sei Ihnen hier ans Herz gelegt:
    PRM-2024-10 - Grundschulempfehlung.pdf (rlv-bw.de)

     

  3. Abschaffung des Werkrealschulabschlusses: Für einen fatalen Fehler halte ich die Pläne, die Werkrealschulen abzuschaffen und sie in Verbundschulen aufgehen zu lassen. Gerade die praxisnahe berufliche Bildung ist eine Stärke dieser Schulform, die mit dieser Ausrichtung für viele Kinder und Jugendliche genau das richtige ist. Zwar sind die Eingangszahlen in Klasse 5 meist niedrig, weil die Werkrealschule – völlig zu Unrecht – bei manchen Eltern leider einen schlechten Ruf hat. Ab etwa Klasse 7 explodieren die Schülerzahlen jedoch häufig, was zeigt, dass die Werkrealschule für viele Schülerinnen und Schüler eben doch diejenige Schulform ist, auf der sie ihre Talente am besten ausleben können. Eine Abschaffung des Werkrealschulabschlusses ist daher für mich eine Verarmung der Bildungslandschaft in Baden-Württemberg! Setzen, 6.

 

Insgesamt fehlt die übergreifende Herangehensweise: Die Vorschläge der grün-schwarzen Landesregierung sind nur Flickschusterei statt dem notwendigen großen Gesamtpaket. Genau das hätten die überparteilichen Gespräche schnüren können, was ja aber leider von Ministerpräsident Winfried Kretschmann nicht gewünscht war.