Raus aus der Tabuzone
- Auf Einladung von Dr. Timm Kern wurde in Horb über sexualisierte Gewalt und Schule diskutiert
- Vertreterinnen des Martin-Gerbert-Gymnasiums Horb stellen ihren Weg zu einem Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt vor
- Landtagsabgeordneter Dr. Timm Kern (FDP) hatte zu einer Abendveranstaltung hierzu eingeladen
„Was muss geschehen, damit nichts geschieht?“. Diese Frage stand im Zentrum des Vortrages von Madline Cabon, Schulsozialarbeiterin am Martin-Gerbert-Gymnasium Horb und Bettina Göhner, Mitglied des Schulleitungsteams an der Schule. Sie waren der Einladung des Landtagsabgeordneten Dr. Timm Kern (FDP) gefolgt, der die Gesprächsrunde unter dem Titel „Sexualisierte Gewalt – was kann Schule tun?“ im Projektraum 42 in Horb organisiert hatte.
In seiner Begrüßung nannte der Abgeordnete zwei Gründe dafür, warum er sich mit diesem Thema beschäftige: Vor allem die persönliche Geschichte eines Mitglieds in seinem FDP-Kreisverband, der ihm vor neun Jahren anvertraut hatte, als Kind selbst von sexualisierter Gewalt betroffen gewesen zu sein, habe ihn dazu bewegt. Dazu komme, dass er in einer Podiumsdiskussion der Bildungsgewerkschaft GEW eine Zahl gehört habe, die ihn erschreckt habe: „Es gibt Zahlen, wonach zwei bis drei Kinder pro Klassenzimmer in der einen oder anderen Form von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Das sind Zahlen, die einen aufschrecken lassen müssen“, erklärte der Abgeordnete. Auch wenn sexualisierte Gewalt häufig als Tabuthema behandelt werde, sei es gerade deshalb wichtig, dafür zu sensibilisieren: „Wir dürfen als Politiker ja nicht nur die Themen ansprechen, die gut ankommen – sondern vor allem auch die, auf die es ankommt.“
Den inhaltlichen Hauptteil des Abends bestritten dann die zwei Vertreterinnen des Martin-Gerbert-Gymnasiums, die aus ihrer eigenen Schulpraxis berichten konnten: Im Jahr 2019 hatte sich die Schule unter ihrer Federführung auf den Weg gemacht, ein Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt zu entwerfen. „Schule ist ein Lebensraum für junge Menschen, nicht einfach nur Lernort“, betonte Bettina Göhner die Motivation hinter ihrer Initiative. Es habe sich gezeigt, dass Jugendliche sich mit Problemen häufig als erstes an Menschen im schulischen Umfeld wenden. Deshalb sei es so wichtig, eine Umgebung zu schaffen, in der es möglich sei, sich zu öffnen.
Schulsozialarbeiterin Madline Cabon stellte in der Folge die einzelnen Bausteine eines Schutzkonzeptes vor, die die Schule mit Unterstützung von Kinderschutztrainerin Christin M. Pontius erstellt hatten. Die insgesamt acht Bausteine umfassen unter anderem die Risikoanalyse, das Erstellen eines gemeinsamen Verhaltenskodex in der Organisation, die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern oder einen ganz konkreten Interventionsplan, der festschreibt, wer an welcher Stelle Verantwortung übernimmt. So baue sich ein Schutzkonzept Stück für Stück auf. „Es hört sich immer nach sehr viel an, wenn man anfängt“, beschrieb die Schulsozialarbeiterin ihre Erfahrungen, „aber man muss das Rad nicht neu erfinden. Mit den richtigen Kooperationspartnern kann man auch vieles nutzen, was schon da ist.“
Dass am Anfang natürlich vieles neu und unklar war, verschwiegen die beiden Referentinnen aber auch nicht. Da sei es wichtig, von Beginn an als Team zu arbeiten: „Der Startschuss war 2019 mit einem Fachtag. Der war aber nur für die Schulsozialarbeit vorgesehen – ich war damals die einzige Lehrerin, die dabei war“, erzählte Bettina Göhner von dem Auftakt zur Erstellung des Schutzkonzeptes. Das sei schade gewesen, weil Schulsozialarbeit alleine das nicht leisten könne. Vielmehr sei entscheidend, dass man auch Schulleitung, Kollegium und am Ende auch die Schülerinnen und Schüler mit einbeziehe, damit die Erstellung und die Umsetzung eines Schutzkonzeptes funktionieren.
In der anschließenden Diskussion kamen ganz unterschiedliche Wortmeldungen: Ein Vertreter eines Betroffenenvereins wünschte sich mehr Einbeziehung von Betroffenenverbänden, zum Beispiel Einladungen zu Elternversammlungen. Eine Vertreterin der Frauenhilfe stellte hervor, dass vor allem das Dunkelfeld sexualisierter Gewalt immer noch ein großes Problem sei. Auch zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von Schulen waren gekommen und machten deutlich, dass sich in den vergangenen Jahren bei dem Thema zwar schon viel getan habe, aber fehlende Ressourcen häufig ein Problem seien. So war der Wunsch an die Politik, Schulen stärker zu entlasten, um mehr Zeit für Präventionsprojekte zu ermöglichen. Bettina Göhner unterstützte diese Forderung und stellte ein Stundenkontingent für die Präventionsarbeit in den Raum.
Dr. Timm Kern versprach, weiter an dem wichtigen Thema dranzubleiben und im politischen Betrieb auf Fortschritte zu drängen. Gleichzeitig warnte er davor, die Verantwortung nur auf die Schule abzuschieben: „Schule ist nicht der Reparaturbetrieb für alle gesellschaftlichen Probleme“, mahnte er an, „Schulen brauchen solche Konzepte, um in Notfällen richtig und angemessen reagieren zu können – aber das heißt nicht, dass der Rest der Gesellschaft sich nicht mehr damit beschäftigen muss.“ Diesem Appell konnten sich alle anschließen – damit auch außerhalb der Schule das passiert, was passieren muss, damit nichts passiert.