Ursula Münch: Demokratie(un)zufriedenheit – Der Staat ist für alles da oder nicht? (Kern-Gespräch Folge 19)

  • Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Ursula Münch zu Gast im „Kern-Gespräch“
  • Landtagsabgeordneter Dr. Timm Kern (FDP) im Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Ursula Münch
  • Themen wie die Rolle der Parteien in der Demokratie oder die Lage der politischen Bildung in Deutschland standen im Mittelpunkt

Sie ist eine der führenden Politikwissenschaftlerinnen Deutschlands: Professorin Ursula Münch, die bereits bei zahlreichen TV-Talkgrößen wie Anne Will oder Markus Lanz zu Gast war. Nun kam sie auf Einladung des Freudenstädter Landtagsabgeordneten Dr. Timm Kern (FDP) nach Stuttgart, um dort mit ihm im Rahmen seines Formates „Kern-Gespräch“ über den aktuellen Stand der Demokratie zu sprechen.

Beruflich hat es die Politologin nach Bayern verschlagen: Sie ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, ca. 40 Kilometer von München. Doch ihre Wurzeln liegen in Baden-Württemberg: Geboren in Esslingen am Neckar, Abitur in Göppingen. Darauf sprach sie Dr. Timm Kern auch direkt an und interessierte sich für die politisch-kulturellen Unterschiede zwischen den Bundesländern. Professor Ursula Münch erzählte mit einem leichten Augenzwinkern von bayrischem Stolz und schwäbischer Bescheidenheit.

Einer der Schwerpunkte in der Arbeit von Professorin Ursula Münch liegt in der Forschung an politischen Parteien in der repräsentativen Demokratie. Dabei bezeichnete sie sich selbst als Wechselwählerin und kritisierte die mitunter vorkommende Kurzsichtigkeit politischer Verantwortungsträger: „Viele in der Politik denken zu sehr in Legislaturperioden“, monierte sie und nannte als Beispiel die Bereiche Energieversorgung, Infrastruktur, Klimaschutz und Bildungspolitik. Der FDP-Abgeordnete Dr. Timm Kern stimmte ihr für seinen Fachbereich, der Bildungspolitik, zu: „Bildungspolitik muss dringend über Legislaturperioden hinausdenken. Dieses »rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln«, so kriegen Sie keine Qualität in die Bildungspolitik“, beschrieb er die Problematik aus seiner Sicht.

Trotz ihrer Kritik an der Kurzsichtigkeit bestimmter Entscheidungen zeigte sich Professorin Ursula Münch als Verteidigerin politischer Parteien und der repräsentativen Demokratie. „Wenn Parteien nicht in der Lage wären, Stimmungen aufzunehmen, Interessen aufzunehmen, Konflikte ja auch schon innerhalb von Parteien zu lösen – wenn wir das nicht mehr hätten, dann würden noch viel mehr in unserer Gesellschaft einzelne Individuen unvermittelt aufeinandertreffen“, begründete sie die Notwendigkeit von Parteien mit ihrer Integrationsfunktion. Bürgerräte und ähnliche Formate seien nur eine Ergänzung, aber kein Ersatz für politische Parteien und die repräsentative Demokratie. Dr. Timm Kern ergänzte aber auch die Beobachtung, dass gerade junge Menschen sich andere Wege der politischen Partizipation suchten als in Parteien – auch Wege, die sie selbst oftmals gar nicht als politisch wahrnehmen würden.

So sah der Landtagsabgeordnete genau darin auch eine Aufgabe der politischen Bildung: „Da muss man nicht nur Institutionen beibringen und wie sie funktionieren, sondern eben auch werben, dass viel mehr politisch ist als vielleicht junge Menschen mit Politik in Verbindung bringen“, forderte er. Damit rannte er bei Professorin Ursula Münch offene Türen ein: Die schulische politische Bildung entwickele sich zwar, aber der Fokus sei häufig zu stark auf den Gymnasien. Der fachübergreifende politische Unterricht wäre wünschenswert, überfordere Lehrkräfte aber häufig, weil dafür Zeit und Ressourcen fehlten. Um mehr Menschen zu erreichen, plädierte sie auch für mehr politische Bildung in Betrieben.

„Jammern wir zu viel?“, fragte der Landtagsabgeordnete seinen Gast schließlich. Hintergrund der Frage: Dr. Timm Kern analysierte eine zunehmende „Empörungsgesellschaft“, die den Fokus eher auf das Negative lenke statt auf das, was gut funktioniere. Professorin Ursula Münch teilte die Analyse und wies darauf hin, dass viele Probleme wie schlechte Infrastruktur oder mangelnde Digitalisierung zu schnell auf „die Demokratie“ als solche geschoben würden. Das liege auch daran, dass politische Parteien zu sehr den Eindruck vermittelten, der Staat sei für alles da und die Eigenverantwortung dadurch in den Hintergrund rücke.

Nach diesem intensiven Austausch über grundlegende Fragen unserer Demokratie waren sich die Gesprächspartner einig: Die Stärkung der politischen Bildung ist unabdingbar, um auch die Demokratie dauerhaft stark zu halten.

 

Mehr über Prof. Dr. Ursula Münch
Direktorin der Akademie für Politische Bildung (Tutzing)
Web: https://www.apb-tutzing.de/akademie/direktorin/
Twitter: https://twitter.com/MuenchUrsula ( @MuenchUrsula )